Interview mit Ulrike Gaiser
Lernen Sie Ulrike Gaiser kennen, die ihre Bankkarriere hinter sich ließ, um als Künstlerin neu durchzustarten. Ein Interview voller Einblicke in ihre inspirierende Kunst und kreativen Prozesse, die tiefgründige Lebensfragen erkunden.

Verfasst von

Redaktion

Wann wussten Sie, dass Sie Künstler werden wollen?

Als ich 2008 die Gelegenheit hatte, in einem großen Atelier frei zu arbeiten, konnte ich den Ruf der Künstlerin in mir nicht weiter ignorieren. Damit war meine Laufbahn als Bankerin endgültig beendet. Durch Farben mein Innerstes sichtbar zu machen, erfüllte mich mit ungeahnter Euphorie. Je mehr ich mich durch die Malerei mit mir selbst beschäftigte, desto abstrakter und experimenteller wurden meine Bilder. Ich merke, wie gut es mir tut, mich durch die Kunst mit den essentiellen Themen des Lebens zu beschäftigen und das ist für mich der Motor, der mich immer weiter vorantreibt.

(Foto: Steffen Wagener)

Welcher ist Ihr, noch lebender, Lieblingskünstler?

Da fällt mir sofort Anselm Kiefer ein. Seine Art zu arbeiten fasziniert mich sehr, besonders die Verwendung und Kombination vieler unterschiedlicher Materialien in einem Bild, die riesigen Formate, die minimalistische Farbgebung, sein Atelier in Barjac, Frankreich – ein absoluter Traum! Der Film „Anselm – Das Rauschen der Zeit“ von Wim Wenders hat mich nachhaltig beeindruckt und ist für mich ein echtes Highlight unter den Künstler-Dokumentarfilmen.

"In Dir muss brennen, was Du in anderen entzünden willst."

Was möchten Sie mit Ihrer Arbeit beim Betrachter hervorrufen?

Ich möchte dem Betrachter einen Moment der Stille schenken und ihn einladen, die Oberfläche des Alltäglichen zu verlassen und in die Tiefe zu gehen. Die rissigen Strukturen führen automatisch in tieferliegende Schichten, sie führen in den eigenen inneren Raum – sozusagen zum Kern des Seins. Hier liegen alle Antworten auf die Fragen des Lebens verborgen. Meine Kunst öffnet den Zugang zu diesem inneren Raum.

Visionen 3 (80 x 120 cm)

Was ist die interessanteste Interpretation, die Sie von Ihrer Arbeit gehört haben?

Ein Kunstprofessor hat einmal zu mir gesagt, dass es ihn besonders beeindrucke, wie authentisch meine Bilder Oberflächen zeigen, deren Entstehung in der Natur durch Korrosion, Erosion oder Oxidation Jahrzehnte, Jahrhunderte oder noch länger dauern würde. Meine Bilder machen Zeit sichtbar. Der Betrachter ist nicht nur mit dem gegenwärtigen Augenblick verbunden, sondern fühlt förmlich den Entstehungsprozess und bekommt eine Ahnung seines eigenen Ursprungs.

"Hör auf Dein Herz. Es schlug schon lange, bevor Du denken konntest. "

Woher nehmen Sie Ihre Inspiration für Ihre Arbeiten?

Mich inspiriert nichts mehr als die Natur mit ihren vielfältigen Strukturen und Oberflächen. Dazu zählen auch die Menschen in ihrer Individualität, die Teil des natürlichen Systems sind. Alles hängt zusammen, alles steht in Wechselwirkung, alles entwickelt sich weiter – Symbiose und Metamorphose. Allem Leben wohnt eine eigene Wesenheit inne. Es fasziniert mich, das Wesen der Dinge zu erforschen, mit meiner Kunst zu greifen und auszudrücken und es dadurch den Menschen näher zu bringen. Wenn ich Dinge fühlen kann, wenn mich etwas tief berührt, dann kann ich es auch auf die Leinwand bringen. Das ist meine Form des Verstehens außerhalb des Verstandes.

(Foto: Steffen Wagener)

Was ist das beste daran Künstler zu sein?

Die Kunst bietet mir die Möglichkeit, mich intensiv mit mir selbst zu beschäftigen. Wenn ich an einem Bild arbeite, arbeite ich an mir. Das gibt mir Halt und Orientierung. Ich finde heraus, wo ich stehe und wohin ich möchte. Kunst verschafft mir Klarheit über mein Leben und mich. Die Materialien, die ich verwende, und die Strukturen, die entstehen, verlangen von mir ein ständiges Loslassen meiner Erwartungen, ein Sich-Einlassen auf den Bildprozess. Jedes Bild ist immer auch eine Herausforderung für mich, die mich neue Aspekte meiner eigenen und der menschlichen Psyche allgemein entdecken lässt. Es liegt sehr viel Potential für die eigene Persönlichkeitsentwicklung in einer intensiven Auseinandersetzung mit Kunst – egal ob als Schaffender oder Betrachter.

Going with the Flow (Teamgeist-Serie Nr. 11) (120 x 100 cm)

Können Sie Ihre Techniken und Ihren künstlerischen Schaffensprozess beschreiben?

Meine Arbeitsweise ist stark meditativ getragen. Es gibt keinen festen Plan, ein Bild entwickelt sich intuitiv während des Schaffensprozesses. Immer wieder suche ich die innere Verbindung zu meiner Arbeit. Der experimentelle Einsatz verschiedener Materialien und das Eingehen auf die Strukturen im Bild dienen mir als Leitfaden und Orientierung, um mich Schritt für Schritt dem Wesen des Bildes und seiner Aussage zu nähern. Das Anlegen von Strukturen aus Marmormehl, Sumpfkalk, Gips und Baumaterialien aller Art gibt mir die Möglichkeit, auf der flachen Leinwand eine dritte Dimension zu erzeugen, die eine ganz andere Arbeitsweise als mit Farbe und Pinsel möglich macht. Es geht hier um das Spiel mit Höhen und Tiefen, um das Herausarbeiten von Spuren, Rissen und Kratzern durch den Auftrag zahlreicher Farbschichten. Die Herstellung von Farben aus Pigmenten ermöglicht eine ganz feine Farbaddition und ergibt eine faszinierende Farbtiefe. Damit wird jedes Bild ein einzigartiges Unikat – für mich ein Sinnbild für den Menschen selbst, ein Ausdruck von Einzigartigkeit und Individualität.

Dein innerer Schatz 1 (100 x 80 cm)


Was war Ihr überraschendster Moment ihrer bisherigen Kunstkarriere?

Ein Erlebnis von meiner ersten Ausstellung ist mir lebhaft in Erinnerung geblieben: Gleich der erste Besucher verabschiedete sich nach einem schnellen Durchgang durch die Ausstellung mit den Worten: „Das ist hier nichts für mich. Das ist alles viel zu schön. Ich suche Dramen und Abgründe. Beides kann ich hier nicht finden.“ Diese Reaktion hat mich in meiner Art zu arbeiten bestätigt. Denn ich war weder enttäuscht noch entmutigt. Vielmehr gab es mir die Klarheit, dass ich auf dem richtigen Weg bin und authentisch mein Inneres ausdrücke – denn das hat nichts mit Dramen und Abgründen, sondern viel mit Ästhetik und Optimismus zu tun.

"Die Stille ist nicht leer. Sie ist voller Antworten. "

Welche Anschauung haben Sie auf unsere Welt und ihre Gesellschaft?

Ich empfinde die heutige Zeit als Herausforderung und Chance zugleich, denn wir dürfen uns wieder stärker auf unsere Werte besinnen und mehr Verantwortung für unser Handeln übernehmen. Verantwortungsvolles Handeln kann aus meiner Sicht nur aus Liebe, Respekt und Demut sich selbst und der gesamten Schöpfung gegenüber erfolgen, denn nur so ist ein friedvolles Miteinander möglich. Wenn ich bewusst Materialien in einem Bild kombiniere, die sich nicht vertragen, ist es immer spannend und aufschlussreich zu beobachten, wie jedes Teilchen seinen Platz findet und den anderen ihren Raum lässt – Sinnbild für eine friedliche Koexistenz und Vorbild für unser Handeln.

(Foto: Steffen Wagener)


Welcher Aspekt des kreativen Prozesses gefällt Ihnen am besten?

Am meisten fasziniert mich bei meiner Arbeit das Ineinandergreifen unterschiedlicher Prozesse, Materialien zu kombinieren, zu experimentieren, zu forschen, ohne ein bestimmtes Ergebnis erzielen zu wollen. Was zunächst unbewusst beginnt, nimmt immer konkretere Formen an und lenkt meinen inneren Fokus. Das Unvorhersehbare herauszufordern und darauf zu reagieren, ist ein aufregendes und entspannendes Arbeiten zugleich. Alles darf sein, es gibt kein Richtig und Falsch – nur das, was ist. Daraus schöpfe ich Kraft und innere Ruhe.


Was sind Ihre nächsten Projekte, Ideen und Ausstellungen. Wo kann man Sie und Ihre Kunst zeitnah sehen?

Derzeit arbeite ich an meiner neuen Serie „Visionen“, die die Menschen ermutigen soll, ihre Leidenschaft zu entdecken und hinaus in die Welt zu tragen. Diese Serie wird farbenfroh und besonders experimentell – mehr sage ich dazu noch nicht.


Im Moment stelle ich meine Arbeiten in der Burg Kronberg im Taunus aus. Im Herbst zeige ich meine Werke auf der Kunstmesse ARTe in Wiesbaden und danach im Kloster Eberbach im Rheingau. Ausstellungen in verschiedenen Hotels sind für 2025 in der Planung. Die Türen meines Ateliers stehen für interessierte Besucher nach Absprache immer offen.

Weitere Informatione zur Künstlerin Ulrike Gaiser finden Sie auf:

www.ulrikegaiser.net

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